Als ich am 11. Dezember 2018 in Bikaner ankam, war das schon eine meiner letzten Stationen meiner letzten Indienreise im Jahr 2018. Ich war gesättigt von den Eindrücken, körperlich schon recht am Ende und hatte meinen Fokus voll darauf ausgerichtet, nur noch spezielle Themen zu fotografieren.
Erst einmal aber musste ich, in dieser noch ursprünglichen Stadt Rajasthans ein wenig zur Ruhe kommen und meine Kameratasche auf Vordermann bringen. Sie hatte unter den zahlreichen Streifzügen durch das Land schon sehr gelitten und so war es an der Zeit, den Reisverschluss von einem der begnadeten Handwerker, die es hier zu Haufe auf den Straßen gibt, reparieren zu lassen. Es ist beeindruckend, in welcher Schnelligkeit und handwerklichem Geschick die Schneider hier, ein so wesentliches Bestandteil austauschen. Das Straßenhandwerk fasziniert einen immer wieder, wenn man durch Indien reist. Immer und überall sind Dienstleistungen jeglicher Form verfügbar – für uns Europäer, mit unseren geregelten Öffnungszeiten nur schwer vorstellbar. Wenn man aber darauf angewiesen ist, seine Familie mit dem Nötigsten zu versorgen, gibt es keine Sperrstunde, keinen Urlaub und man führt aus, was gerade Geld einbringt.
Einige Tage später war meine Tasche längst repariert und ich hatte mir einen Tuktuk-Fahrer organisiert. Zusammen mit den lieben Eigentümern meiner Unterkunft, probierten wir ihm zu erklären, dass ich Fotograf bin und er mich doch bitte zu besonderen Orten der Umgebung führen soll. Klar, kein Problem. Im Kopf des Fahrers, war ich aber doch nur ein gewöhnlicher Tourist und so brachte er mich eben dort hin, wo ich eigentlich nicht hin wollte. Durch meinen sturen Kopf, klar signalisierter Unzufriedenheit und dass ich mir doch etwas mehr Kreativität von ihm erwartet hätte, brachte ich nach ein paar Stunden in ihm wohl doch noch etwas in Gang. Auf dem Weg zum nationalen Forschungszentrum für Kamele, faselte er etwas von einem Friedhof der Tiere und von großen Vögeln.
Man entwickelt mit der Zeit ein Gespür, wenn man durch Asien reist, wann es richtig spannend wird, oder wann man an Orte kommt, wo man lieber nicht sein sollte – und jetzt war einer dieser Momente.
Nach einer halbstündigen Fahrt und dem Sonnenuntergang schon nah, trafen wir auf ein indisches Fotografenpärchen mit riesigen Teleobjektiven für die Tierfotografie. Sie müssen hier wohl für den National-Geographic fotografiert haben, wenn ich das richtig verstanden habe. Sie lotsten uns an die richtige Stelle und so standen wir an dem Tor zu einem riesigen Tierfriedhof. Ein Pförtner ließ uns in das abgesperrte Gelände und der Geruch führte uns zu einer riesigen Geierpopulation und unzähligen Tierkadavern.
In Europa wurden aufgrund der Kreuzfeld-Jakob-Krankheit strenge Regularien zur Tiervernichtung eingeführt und dadurch entstand etwas Sonderbares. Genau die Grenzlinie von Spanien und Portugal, spaltet den Lebensraum der dortigen von Ass abhängigen Vögel. Aufgrund dessen, dass in Spanien keine verendeten Tiere mehr auf den Weiden liegen gelassen werden dürfen, starb die Geigerpopulation hier fast aus. In Portugal, wo man dieses Problem erkannt hatte, führte man für die Assfresser Orte ein, an denen man Fressbares ablegte und sicherte den Vögeln somit ihre Nahrungsgrundlage.
Wofür es in Europa Verbrennungsanlagen gibt, wird das hier in Bikaner rudimentärer gelöst. Allerlei verstorbene Tiere werden auf den Tierfriedhof gebracht und so kam es über die Jahre, dass sich eine sibirische Geierpopulation hier niederließ.
Der Pragmatismus in diesem Land, offenbarte meinem Tuktuk-Fahrer und mir, gleich das nächste schwer Verständliche. Zwischen den Tausenden Kadavern liefen einige Menschen umher und sicherten sich bei bestialischen Gestank, die letzten noch wertvollen Überreste der Tiere. Sie trennten mit großen, scharfen Messern den Tieren das Fell ab und packten es in Säcke, oder luden es auf einen Hänger. Was für mich nicht vorstellbar gewesen ist, war für die Menschen hier Alltag. Die Armut drängt die Menschen dazu, unter niedrigsten Bedingungen die schlimmsten Arbeiten zu machen. Bei den Gerbereien in der Umgebung werden die Tierhäute von Kühen, Rindern und Kamelen abgegeben, die dann wiederum von diesen, zu Leder verarbeitet wird.
Ich habe mir lange überlegt, ob ich diese Bilder veröffentlichen soll, da die Inder, denen ich sehr viel zu verdanken habe, nicht gerade stolz auf dieses Bild ihres Landes sind. Trotz dessen ist es mir aber wichtig, nicht nur die schönen Seiten Asiens zu zeigen und darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen auf der Welt gezwungen werden, zum Äußersten zu greifen, um sich und ihre Familien ernähren zu können.
Meine Fototasche war im Übrigen nicht aus Leder und wurde in Grafenau, also nur unweit von Tübingen extra für mich angefertigt. – Also auch bei uns gibt es noch qualitativ hochwertige Handarbeit, nur eben mit geregelten Öffnungszeiten und guten Arbeitsbedingungen.
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